31.08.2022
Durch den Nebel
Am 1. Oktober erscheint bei Sonderzahl die Poetik von Jaroslav Rudiš
Jaroslav Rudiš führt uns durch seine Poetik: In Zügen, Kneipen und Geschichten findet er die Erzählungen, die Europa verbinden.
Im literarischen Werk von Jaroslav Rudiš ist der Nebel ein durchgehendes Motiv: Durch die Nebel der Geschichte werden die Nebel des Krieges erahnbar, die Nebel der Melancholie führen vom Alltäglichen aus nahe an die Figuren des Autors heran. Für Rudiš steht der Nebel zugleich als Metapher für die verdrängten, verlorenen und vergessenen Seiten Mitteleuropas wie auch für die Geschichten, die man diesem Nebel abgewinnen und erzählen kann, ja sollte, sobald sich der Nebel kurz lichtet. Das lohnt sich. Denn wenn man das Wort Nebel rückwärts liest, taucht ein anderes deutsches Wort auf – das Leben.
Der Schriftsteller Jaroslav Rudiš nimmt uns mit auf eine lange Fahrt durch diese Nebelschwaden. Entstanden ist eine sehr persönliche literarische Reise, in der es um Betrachtungen des Lebens, der Überfahrt und des Todes – und über das Schreiben darüber – geht. Anhand einer faktischen Reise, die in Lomnice nad Popelkou, Turnov und Jičín im Böhmischen Paradies anfängt, an den Orten also, wo Rudiš aufwuchs und wohin er in seinem Werk immer wieder zurückkehrt, obwohl er heute vorwiegend in Berlin lebt und lange schon nicht mehr nur auf Tschechisch, sondern auch auf Deutsch schreibt.
Lesend folgen wir Rudiš auf ein Bier in eines seiner Lieblingslokale oder den Speisewagen, wo er sich oft Anregungen aus den Schwaden der Gespräche holt. Oder er nimmt uns mit ins Dampfbad, wo er im Dunst vielen seiner Figuren begegnet ist. Er bringt uns nach Liberec, nach Reichenberg, er zeigt uns die erste Feuerhalle der ehemaligen Monarchie, die hier 1917 gebaut wurde. Er bringt uns in ein altes Grandhotel und verliert sich mit uns im Nebel des Krieges auf dem Schlachtfeld bei Königgrätz von 1866, das eine zentrale Rolle in seinem Roman Winterbergs letzte Reise spielt. Mit dem alten Winterberg geht es in der Eisenbahn durch die ehemalige Monarchie und mit Alois Nebel in das vergessene nebelige Altvatergebirge. Und immer wieder verknüpfen sich die narrativen, historischen und persönlichen Fäden seiner Literatur im Unterwegssein mit dem Zug. Denn eines steht für Rudiš fest: Es sind die Eisenbahnschienen, die das Europa unserer Erzählungen zusammenhalten. Auch im dichtesten Nebel der Gegenwart.
Jaroslav Rudiš
Durch den Nebel
Salzburger Stefan Zweig Poetikvorlesung
102 S., Büttenbroschur
Format: 12,5 × 20 cm
€ 16,– (A und D), 23,90 Fr.
ISBN 978 3 85449 605 2
Erscheint im Oktober 2022
Mehr über die Salzburger Stefan Zweig Poetik Vorlesungen erfahren Sie hier.
Jaroslav Rudiš, 1972 in Turnov in der Tschechoslowakei geboren. Er studierte Germanistik, Geschichte und Journalistik in Liberec, Prag, Zürich und Berlin. Er arbeitete als Hotelportier, Lehrer und Journalist. Rudiš ist Autor zahlreicher tschechischer und deutschsprachiger Romane, Hörspiele, Theaterstücke, Kinodrehbücher, Essays und Musikprojekte. 2014 erhielt er den Usedomer Literaturpreis, 2018 den Preis der Literaturhäuser, 2020 den Chamisso Preis/Hellerau und 2021 das Bundesverdienstkreuz am Bande als "einer der engagiertesten Brückenbauer zwischen Deutschland und Tschechien". In besonderer Weise befasst sich Jaroslav Rudiš mit der Geschichte Mitteleuropas. Sein 2019 erschienener Roman Winterbergs letzte Reise, den er auf Deutsch verfasst hat und der bei Publikum und Kritik auf großes Echo stieß, "ist eine eindringliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des Gebietes, in dem die beiden Weltkriege begannen".