23.07.2019

Christoph Keller, Der Boden unter den Füßen

Pressekontakt: Ruth Eising | +49.(0)228.25987582 | +49.(0)160.1564308 | r.eising@re-book.de

Poetisch und frech zugleich, witzig und elegant entwirft Der Boden unter den Füssen nicht eine weitere Dystopie, sondern erzählt von einer Utopie, die Natur und Mensch wieder vereint. Alles wird gut. Ganz sicher.

Lion, dem fast schon legendären Brückenbauer, ist eine Brücke eingestürzt. Das hat zwölf Leben gekostet, und auch wenn ihn keiner anklagt, einfach weitermachen will er nicht. Lieber unternimmt er ausgedehnte Wanderungen in seinem Garten, auf dass er sich selbst und auch unserer geschundenen Welt auf die Spur komme.

Und siehe, immer öfter erscheinen Menschen im Garten. Gleich zu Beginn ist da Andri, der schlitzohrige Nachbarjunge, der verkündet, seine Mutter sei verschwunden. Wo denn? Im Garten natürlich. Was aber will der Junge wirklich? Nun, Lion, immer schon ein bisschen in Andris Mutter verknallt, macht sich auf die Suche im Garten – und wundert sich schon bald nicht mehr, dass dieser mit jedem seiner Schritte grösser wird. Sogar dann, wenn er mit seiner Partnerin und Ökobestsellerautorin am Gartentisch Wein trinkt. Dabei gerät auch die Zeit immer mehr aus den Fugen und saugt Lion hinein in das wahre Wesen und das Wunder der Natur. Bis er glaubt, den Boden unter den Füssen wieder gefunden zu haben.

Der Boden unter den Füßen. Eine Fantasie. Roman
160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
August 2019
ca. 29,00 CHF, 25,00 Euro
Limmat Verlag
ISBN 978-3-85791-880-3

Textprobe:
Jetzt, da alles gut wird, erscheinen die Menschen immer öfter im Garten. Sie tragen zu meiner Zerstreuung bei, und ständig erfahre ich etwas über die Welt.

Tatsächlich steht vor dem Holunder ein etwa neunjähriger Junge. Mir kommt er bekannt vor, doch genauso wahrscheinlich ist, dass ich ihn noch nie gesehen habe. Er steht vor dem Baum wie einer, der seinen Körper nicht begreift. Obwohl es dafür schon zu kühl ist, trägt er kurze Hosen und Sandalen. Immerhin hat er eine Mütze auf. Eine dunkelblaue Wollmütze. Man soll den Kopf warm behalten, das heizt den ganzen Körper. In seiner linken Armbeuge hält er einen roten Luftballon so fest gepresst, dass er bestimmt gleich platzen wird.

Der Holunder, auf den der Junge zeigt, ist in der Tat eine erstaunliche Pflanze. Nebeneinander wachsen drei Stämme aus dem Boden, erst kaum einen Fingerbreit voneinander, dann fächern sie aus. Es folgen zahlreiche armdicke Stammfortsätze, die in hölzerne Handgelenke münden, aus denen wiederum fingerdünne Äste sprießen. Das alles wird bis fast in die Krone von Efeu umrankt, als sei ein Künstler mit seinem Werk nicht zufrieden gewesen und habe Verbesserungen angebracht. Der Baum hat tatsächlich etwas Skulpturales, obwohl es gleichzeitig nichts Natürlicheres gibt als einen Baum, der wächst, wie es am besten für ihn ist. Irgendwo (ich ziehe oft auf der Suche nach Gartenideen durchs Internet) habe ich gelesen, mehrstämmige Bäume lägen wieder "voll im Trend": Zwillinge oder, in der Baumsprache, Zwiesel, Drillinge beziehungsweise mehrgipflige Zwiesel wie mein Holunder.

Der Autor
Christoph Keller, 1963 in St. Gallen geboren, ist der Autor zahlreicher preisgekrönter Romane. Keller, der ausführlich über zeitgenössische russische Literatur geschrieben hat, publizierte die Essay-Sammlung Herumstreunende Bären unter dem Höllenhimmel und gab zwei Anthologien russischer Erzählungen heraus. Sein Theaterstück Ballerina wurde 2004 anlässlich einer Woche, die seinem Schaffen gewidmet wurde, in Bregenz uraufgeführt. Darüber hinaus ist er zusammen mit Heinrich Kuhn Teil des Autorenteams Keller+Kuhn, das drei Romane veröffentlicht und zuletzt den Band Kürzesterzählungen Alles Übrige ergibt sich von selbst herausgegeben hat. Seine auf Englisch geschriebenen Erzählungen erschienen u. a. in Paris Review, Absinthe, Fail Better, The Means, Gobshite, Sand und Quadrant. Kellers Photographien, fester Teil seiner zuletzt erschienenen Bücher, wurden in New York in zwei Ausstellungen in der Galerie art101 gezeigt. Ab 2019 erscheint die von ihm betreute zweisprachige Bangla American Poets Series in Indien (Santiniketan, West Bengal). Christoph Keller lebt in St. Gallen.